Die Angelsachsen

https://www.buffymcintyre.de/wp-content/uploads/2011/02/ostara.jpg   Angelsächsische Religion   https://www.buffymcintyre.de/wp-content/uploads/2011/02/ostara.jpg

 

Die “angelsächsische Religion“ bezieht sich auf die vorchristliche religiöse Verehrung einer Vielzahl von Göttern oder Geistern des germanischen Sammelvolks der Angelsachsen in England. Religionswissenschaftlich wird sie als Bestandteil der germanischen Religion insgesamt, sowie insbesondere der kontinentalen südgermanischen Religion klassifiziert.

 

Quellenlage und Befund

Die Quellen zur Angelsächsischen Religion sind unterschiedliche schriftliche Dokumente, der Wortschatz der altenglischen Sprache, Ortsnamen sowie archäologische Funde unterschiedlicher Art.

Zu den schriftlichen Quellen zählen unter anderem Glossare (eine Liste von Wörtern mit beigefügten Erklärungen oder Übersetzungen), Zaubersprüche, Adelsstammbäume, Geschichten, Heldensagen (Beowulfepos) und poetischen Dichtungen. Bei den Geschichten hat besonders Beda Venerabilis “Historia ecclesiastica gentis Anglorum“ große Tragweite. Beda berichtet nicht gezielt und bewusst über die heidnischen Verhältnisse seiner Ahnen. Er liefert vielmehr zweitrangige Informationen, die jedoch in der Zusammanfassung, in Kombination und im Vergleich mit anderen Quellen bedeutend sind. Diesbezüglich setzt sich die altenglische Übersetzung Bedas, durch Alfred den Großen, mit sprachwissenschaftlicher Bedeutung durch, da er lateinische Begriffe ins altenglische übertragen hat, die vergangenes heidnisches Erbe überliefern bzw. widerspiegeln. Für die Kultur und Religion der Angelsachsen ist die Ritualdichtung eine besonders kostbare Quelle. Sie beinhaltet sehr gut erhaltene und zahlreiche Zaubersprüche, die Totenklagen und eine Floskel zum Opfer in einem heidnischen Heiligtum im „Beowulf“.

Durch Auslegung von archäologischen Fundorten und Gegenständen haben Forscher wesentlich zum Verständnis von Ritus und Kult in der angelsächsischen Religion beigetragen. Kontinuitäten und Unterschiede zwischen Funde auf angelsächsischen sowie anderen Gebieten aus Deutschland und Skandinavien lassen ebenso Folgerungen auf die geistig-religiöse Haltung der Angelsachsen zu, wie z.B. die Gestaltung und Grabbeigaben angelsächsischer Bestattungsstätten.

Zur Wikingerzeit siedelten im nordöstlichem England heidnische Dänen (Danelag). Die durch diese Umstände bedingten Einflüsse aus nordischer Mythologie und nordgermanischer Religion lassen sich von der glaubwürdigen einheimischen Überlieferung unterscheiden. Hier sind besonders die Ortsnamen mit Gottesbezug (theophor) zu nennen, die zu dieser Zeit regional mit den nordischen Namensformen der Hauptgottheiten belegt wurden.

 

Grundvoraussetzungen der Angelsächsischen Religion

Die moderne Unterscheidung der Lebenswelt in einen geistlichen, religiösen Bereich und einen weltlichen, alltäglichen Bereich ist der germanischen und besonders der angelsächsischen Religion fremd. Wie andere antike Gesellschaften, so besitzen auch die Germanen über ein anderes Gottesverständnis, beginnend bei den zuordnenden Begrifflichkeiten. Die Person war ursprünglich nicht an die Religion, geprägt durch die Götter, gebunden, sondern an die Gemeinschaft der Sippe und der gegenseitigen Pflicht der Sicherung und Bewahrung der Rechte und der Sitte, sowie des Friedens innerhalb der zentralen Gemeinschaft, ge- und verbunden. Der religiöse Kult einer bestimmten Gottheit, beispielhaft am prägnanten Opferwesen, war nach dem “do ut des“ Prinzip ausgerichtet, des “ich gebe, damit du gibst“. Als jedoch die alten Götter nicht mehr “Gegeben“ haben, wurde durch des bestimmenden angelsächsischen Adels wegen ordnungspolitischen bzw. machtpolitischen Gründen der Stärke verheißende Christengott ausgewählt. Ebenfalls ist die Trennung des Zaubers/Magie vom restlichen religiösen Kult nicht angemessen, als beispielsweise verstandene Praktiken einer urtümlichen Stufe des Aberglaubens. Die Sphäre des Zaubers ist als unerlässlicher Bestandteil und der Entwicklung des religiösen Kultus und Ritus anzusehen. Die Germanen, also die Angelsachsen, verstanden keinen Unterschied zwischen den Begriffen Religion und Zauber, wie der Mittelmeer angehörigen Welt, noch in deren generell einodnenden Auffassung.

Grundlegend und prägend für die kurze 150-jährige heidnische Epoche bis zur Gründlichen und langfristigen Christianisierung der Angelsachsen auf der Britischen Insel, war die gemeinsame Abstammung aus den Gebieten des norddeutschen Flachlands, oder vielmehr der Kimbrischen Halbinsel. Überwiegend aus dem heutigen Schleswig-Holstein und den Elbmarschen (Als Elbmarsch wird das ausgedehnte Marschland an der Unter- und zum Teil auch an der Mittelelbe bezeichnet). Diese germanischen Volks- und Stammesgruppen, Nordsee-Germanen (Ingwäonen), bildeten den Kern der späteren Angelsachsen.

Als Angehörige dieser Kulturgruppe trugen sie an den Weiterentwicklungen der religiösen Riten und Kulte ihrer ursprünglichen Heimat, bis über die römische Kaiserzeit und der Zeit bis zum Auszug bei. Die bedeutenden Anschauungen von den Gottheiten des 1. Jahrhunderts nahmen die Angelsachsen mit. Wie beispielsweise die von Tacitus erläuternden Vegetationsriten in Anbindung mit dem Nerthuskult. Damit waren die bestimmenden Merkmale von der religiösen Kultpraxis bestimmt, und vergleichsweise einheitlich und eng verwandt mit den kontinentalen Traditionen der Altsachsen.
Auch die Entwicklung der ‚Altsachsen‘ war in Bewegung und muss unter dem Aspekt der Umstände der Völkerwanderung einbezogen werden. Die Abnahme keltischen Gutes und mitgebrachte regionale Variationen des Kultes der einzelnen Volksteile wirkten sich nicht nur auf die Gegebenheiten des täglichen Lebens aus, sondern war Ausgangspunkt zur Entstehung einer beglaubigten selbständigen angelsächsischen Kultur.

Archäologische Funde, die in Beziehung von Opferhandlungen stehen, bekunden die religiösen Kulte der Germanen. Übereinstimmende Dokumente aus dem 1. Jahrhundert n.Chr. im ganzen germanischen Raum des Nordens und Südens zeigen, dass Orte mit kirchlicher Geltung bewusst von der irdischen Lebenswelt getrennt wurden. Feuchte Stellen wie Seen, Moore, Flüsse, Quellen und Landmarken waren die gewählten Orte für die Opferhandlungen. Erst in der nachrömischen Eisenzeit änderte sich dies mit stärker werdender Interesse zur Verlagerung auf trockenen Grund.

An der späteren Entwicklung waren die Angelsachsen nur wenig beteiligt. Die Neigung zum Quellopfer ist geblieben und in der Ortsnamenforschung über den englischen Teil der britischen Insel als geistlichen Bezug zu Quellen und fließendem Wasser belegt. Für den Süden- und Südwesten Englands sind in den mittelalterlichen schriftlichen Texten mehrmals Varianten von “on (to) halgan wylle, welle“ festzustellen, andere geweihte Gewässer sind “to halgan forde, Halgeford(t)e“ und “broces to halgan welle“. Broces ist gleich dem niederdeutschen Begriff “Bruch, Bro(c)k“ für eine sumpfige Geländeniederung. Noch heutige englische Ortsnamen, die auf der Namensform “Holywell“ variieren, bezeugen die Stellung von Quellen und im übertragenen Sinn Feuchtgebiete im religiösen Kultus der Angelsachsen.

 

Gemeingermanische Gottheiten der Angelsachsen

*Thor: Donnergott. In kirchlichen und literarischen Quellen als Jupiter glossiert; mit „feuriger Axt“ und „Fahrer über den Wolken“. Zahlreiche Belege aus der Ortsnamenforschung.

*Tyr: Gleichsetzung in Glossen mit Mars. Ein 2004 bei Holt in Norfolk entdecktes Goldbrakteat zeigt eine männliche Gestalt, die mit dem Schwert gegen zwei Untiere kämpft. Fast identische Funde aus Niedersachsen lassen eine Deutung, bedingt durch das mythische Motiv analog zur nordischen Mythologie, auf die Gottheit zu, und mithin eine gemeingermanische Kontinuität.

*Odin: Hauptgott, in Glossen erfolgte stets die Gleichsetzung Wódens mit Mercurius. In den Stammbäumen der frühen Gentilzeit (Volksstämme) ist er der Stammvater der heptarchen angelsächsischen Königshäuser. Zahlreiche Belege aus der Ortsnamenforschung.

Die Angelsachsen kannten neben diesen Gottheiten folgende mythische Figuren, deren teilweise angenommene Stellung als Gottheiten unklar ist. Neben den mythischen Hengest und Horsa als Urväter der angelsächsischen Einwanderung:

*Ēostra: Nur bei Beda genannt. Ihr ist ein Fest im April (éosturmónað) geweiht. Aus dieser einen Erwähnung hatte Jacob Grimm eine deutsche Göttin Ôstara rekonstruiert.

*Erce, sowie die Mütter der “Mōdranith“: Vermutlich eine Hypostase der Matronenverehrung; die Stellung als tatsächliche Gottheiten ist unklar.

*Gēat: Ahnherr der Königsfamilien und in den Stammbäumen Vorfahre von Wóden. Das Klagegedicht des Sängers “Deor“ nennt seine Liebschaft zu “Mæðhilde“. Da die Angelsachsen diesen Gott mit lauten Lobliedern besangen, bezeichnete König Alfred ihn als „komödienhafte Gottheit“. Der Name steht eng in Verbindung mit nordischen Beinamen Odins, Gautr, so das eine Beeinflussung aus dem nordgermanischen Bereich vorliegen kann, oder eine Hypostase Wōdens vorliegt. “Rudolf Simek“ geht beispielsweise von einer angelsächsischen Sonderform als Gottheit aus, durch die ausdrückliche Wendung in den Quellen. Bei Nennius : “Geata, quem Getam iamdudum pagani pro deo venerabantur“. In Alfreds volksprachlicher Übertragung: “Geata, þene þa hæþena wurðedon for god“.

*Ing: Nur im altenglischen Runengedicht aus dem 10.–11. Jahrhundert genannt, dort als profaner Held der Ostdänen bezeichnet, vermutlich identisch durch dessen gleichlautenden nordischen Beinamen mit Freyr. Auch durch die Ingwaz-Rune belegt.

*Seaxnēat: Erscheint im Stammbaum der Könige von Essex als Sohn von Wóden und entspricht namentlich dem Gott “Saxnôte“ aus der Abschwörungsformel im altsächsischen Taufgelöbnis. Ob er mit Tíw gleichgesetzt werden kann, ist unklar.

 

Kult

Der Mönch Beda Venerabilis, selbst angelsächsischer Herkunft, berichtete von einem Brief, den Papst Gregor I. im Jahr 601 an den anglischen Abt Mellitus mit der Bitte um Weiterleitung an Bischof Augustinus von Canterbury verschickte. Indirekt wird darin über die religiös-kultischen Gebräuche der Angelsachsen berichtet:

Die Angelsachsen feierten ihre öffentlichen rituellen Feste, die durch Kultopfer und Opfermahle begleitet wurden, an bestimmten heiligen Orten im Freien oder in Kulthallen. Die jeweiligen Bestimmungen und Zwecke änderten sich in der auf die heidnischen nachfolgenden Zeit des Religionswechsel zum Christentum. Die Gottheiten hatten in bildnerischen Darstellungen vermutlich das Aussehen herkömmlichen Pfahlgötzen, oder wie auf Brakteaten (Medaillen). Zu den öffentlichen und gemeinschaftlichen religiösen Riten kam der private Kult in der landwirtschaftlich lebenden Haus- und Hofgemeinschaft.

 

Kultorte

Neben den gewählten natürlichen sakralen Orten, die als Kultorte neu erschlossen oder von den heidnischen Briten übernommen wurden, kommen im Wald auf Lichtungen angelegte Kultstätten hinzu; in Folge separierte und kultivierte baumbestandene Haine, die nach zunächst freier Gestaltung später eingehegt wurden. Die bewusste Nutzung von umwaldeten oder baumbewachsenen Orten steht eng mit den indogermanisch übernommenen Baumkulten in Verbindung: „Heilige Wälder gab es auf jeden Fall früher als Tempel und Altäre“. Über die reine Semantik der „Einhegung“ hinaus erschließt sich die Entwicklung hin zu baulichen Orten, wie beispielsweise dem Tempel.

In der angelsächsischen Sprache wird der „Tempel, Hain“ mit “ealh“ und in der gotischen Sprache mit “alhs“ (basierend auf *germ. “alh“) bezeichnet. Die Begriffe bedeuten ursprünglich „heiliger Hain“ und sind auf die indogermanische Wurzel “*alek-, *h₂lek“ – „heiliger Baum, Holzgötze“ zurückzuführen, und haben zuzüglich die Bedeutungen „Kraft, Macht und Schutz“.

Die Bezeichnung “bearu“ (Wald) kann mit „heiliger Hain“ übersetzt werden, da nach Beda “æt Bearwe“ „dort vor Ort“ Kirchen errichtet wurden. Der angelsächsische Ausdruck “hearg“ für „Tempel“ ist wörtlich mit „Steinhaufen, Opferstätte“ gleichzusetzen, wobei der Bedeutungsbogen von „heiligen Orten“ über „göttliche Macht“ bis zu einem „bestimmten Idol“ gespannt werden kann. Alte Opferstätten sind als Steinhaufen archäologisch belegt; vermutlich als Altar oder Sitz eines Idols, verehrten Pfahls, oder Götterfigur. Der angelsächsische Begriff für Altar lautet “wīgbed“ und meint „Götzen- oder Heiliger Tisch“.

Zahlreiche Ortsnamen, die von “ealh, hearg“ oder von den Namen der Hauptgötter Wōden, Þunor und Tīw abzuleiten sind, deuten auf germanische Kultstätten in England hin, beispielhaft befand sich beim kentischen Ort Eastry ein Wōden-Heiligtum, “Woodnesborough“, nebst Friedhof und gefundenen Brakteaten welche mit der Gottheit in Verbindung stehen. Bedas Bericht über die Bekehrung des anglischen Priesters “Coifi“ nennt den Standort des Tempels “Godmundingaham“ aus der Zusammensetzung mit “God“. Viele Kirchen wurden auf ehemaligen heidnisch genutzten Orten errichtet; beispielsweise die Kathedrale von Canterbury auf dem Boden eines ehemaligen angelsächsischen Tempelbezirks. Zwar riet die päpstliche Seite, heidnische „Tempel“ in christliche Kirchen umzuwandeln, es konnte jedoch bis heute kein Nachweis erbracht werden, dass tatsächlich ein germanischer Tempelbau kirchlichen Zwecken zugeführt wurde. Vielmehr liegen Berichte über deren Zerstörung vor. Dem päpstlichen Brief an Augustin ist nicht zu entnehmen, dass die Angelsachsen „Tempel“ mit Wänden und Dächern gemäß dem lateinischen Verständnis nutzten.

Der zum Christentum bekehrte Coifi verbrannte in Folge den Tempel in “Godmundingaham“ und andere Heiligtümer, was nicht nur für eine hölzerne Einhegung, sondern für eine massive hölzerne Gesamtstruktur spricht. Zum anderen sind deshalb keine konstruktiven Spuren erhalten geblieben, beziehungsweise archäologisch nachweisbar.

Die eigentliche, und spezifisch angelsächsische Begriffsneubildung ist “friðgeard“ „heiliger eingefriedigter Ort“, der Frieden der am Kultort herrschte hängt direkt mit dem germanischen Rechtsverständnis zusammen wie der Vergleich zu dem isländischen „Thingfrieden“ zeigt und zum kultischen Selbstverständnis der unbedingten Gebundenheit. Eine Verletzung dieses Friedens hatte drastische Sanktionen zur Folge. Solche Sanktionen werden beispielsweise drastisch im Lex Frisionum geschildert.

Die angelsächsischen Begriffe für Tempel werden somit alle unter dem Gesichtspunkt des gemeingermanischen Charakters von geweihten Kultstätten, als einen eingefriedeten Hain gesichert bestätigt.

 

Priester, andere sakrale Personengruppen

Die gottesdienstlichen Handlungen der Germanen werden bei Tacitus (Germania Kap.10) unterteilt in öffentliche Kulthandlungen eines Staatspriesters “sacerdos civitates“, und die eines “pater familias“, dem Familienoberhaupt als Hauspriester. Die priesterlichen Aufgaben, von Tacitus beschrieben, bilden ein gemeingermanisches Muster mit lokalen Verschiebungen. Diese Aufgaben beinhalten vor allem die Leitung der Opferhandlungen, von feierlichen Riten und Umzügen an Festtagen, okkulten Handlungen von Viehbesprechungen und Exerzitien, die medizinische Betreuung, richterliche Befugnisse, Eheschließungen, Eröffnung der Thingversammlung. In Island hatte das Hof- und Familienhaupt diese Funktion inne als “Gode“, Besitzer des privaten Tempels und Götterbildes (Idolatrie). Vermutlich hatten die angelsächsischen Eigennamen “Gode, Goda“ und die Bezeichnung “heargweard“ die Nebenbedeutung von der des “Tempelbesitzers“. Andere Eigennamen sind vermutlich mit Priestertitel in Verbindung zu setzen. Die Ansätze einer priesterlichen Organisation beziehungsweise einer gesonderten Priesterkaste sind, wenn, auf römisch-hellenistische und keltische Einflüsse begründet. Neben den Angelsachsen sind diese Ansätze bei den Langobarden festzustellen die ebenfalls solche kulturelle Einflüsse aufnahmen.

Die Frage einer weiblichen Priesterschaft bleibt unbeantwortet, aus dem Wortschatz und sonstigen angelsächsischen Quellen ist dies nicht zu entnehmen. Dennoch kommt weibliches Kultpersonal eine Rolle zu: der als Zauberin und als Wahrsagerin. Die angelsächsischen Priester durften keine Waffen tragen, sie gehörten nicht zu den Kriegern, und durften nur Stuten als Reittiere benutzen. Neben der zentralen Aufgabe der Verrichtung von Opferhandlungen –als Opferpriester– war die Position des Ratgebers, besonders für den Adel und den politischen Entscheidungsträgern, eine weitere bedeutende Funktion. Ausgehend vom Begriff für Opfer/Opfern “blōtan“, und vergleichend der späteren christlichen Wortbildung “wēofod-þegn“ „Altardiener“, bedeutet der Begriff “þyle“ wie im altnordischen “Þulr“ einen Kultredner mit sakraler Funktion, in den schriftlichen angelsächsischen Quellen aber auch „Rat der Fürsten, Dichter“ (Glossen im Beowulf).

Wie der gemeingermanische Adel, so hatte der angelsächsische Adel, insbesondere der König, neben der offiziellen politischen Macht und Gewaltenausübung eine sakrale Bedeutung und Funktion (Königsheil). Die angelsächsischen Könige hatten einen nicht zu unterschätzenden hohen Grad an Einfluss auf den Staatskult, durch die wechselseitige Beziehung aus der Sozialstruktur und der Sakralkultur. Tacitus berichtete schon über ein Königspriestertum, dessen sakrale Funktion auch in den wikingerzeitlichen Norden zu finden ist. Nordische Könige gaben zu Lebzeiten Segen und wurden nach ihrem Tod vergöttert, und angelsächsische Könige führten Ihre Sakralabstammung auf “Wōden“ zurück; eine Heiligkeit auf Grundlage der Vererbung, des Geblüts. Das frühmittelalterliche Staatschristentum der Angelsachsen und der Franken ist auf den ehemaligen heidnischen Kult und dessen enge Verbindung zum germanischen Staatswesen zurückzuführen.

 

Opfer und Feste

Das germanische Opfer bestand vor allem aus Bitt- und Dankopferhandlungen. Die Opfer wurden bei dem öffentlichen Gemeinschaftsritus, wie bei den privaten Kulthandlungen aus dem Zweck heraus durchgeführt, der mit den Opfergaben inhaltlich in Verbindung stand. Direkte schriftliche Quellen zu den angelsächsischen Opfer- und Festbräuchen bestehen nicht, die sprachlichen Zeugen aus dem Wortschatz, stammen aus christlicher Zeit und Anwendung, und sind älter als das angelsächsische Christentum und eine kleine Anzahl stehen tatsächlich mit dem paganen Kult und Ritus in enger Verbindung.

*Die angelsächsischen Begriffe für das Opfer beziehungsweise die konkrete Opferhandlung ist das oben genannte “ blōt, blōtan“, welches im altnordischen “blót“ und im althochdeutschen “blŏzan“ Erwiderung findet. Ein weiter Begriff ist “lāc“, welcher mit dem gemeingermanischen Begriff “

*laikaz“ tanzen, hüpfen in semantischer Verbindung steht (siehe auch bei Oslac). “Blōtan“ hat unter anderem die Bedeutung von “stark machen, stärken“, eine Verwandtschaft zu “blōd“, Blut besteht wie im ganzen germanischen Raum nicht.

*Der Opferer beziehungsweise opfernde Priester ist der “blōtere“, “blōtorc“ ist das Opfergefäß, welches zu bestimmten in den Jahreszeiten stattfindenden Festen Verwendung fand unter anderem am “blōt-mōnað“, dem Opfermonat November. “Lāc“ bedeutet die “Gabe, Opfer“ und in den Verbindungen “bærne-lāc“ und “cwic-lāc“ Brand- und Tieropfer. Der Begriff hat aber noch weiter Bedeutungen wie unter anderem “Spiel“, “Kampf“ und “Beute“.

*Geopfert wurden Tiere, Feldfrüchte und Gegenstände des alltäglichen Bedarfs von durchaus höheren materiellen Wert, aber besonders durch den ideellen, kultbezogenen Wert. Die für die Opferung tauglichen Tiere, wurden unter den altenglischen Begriff “tīber, tīfer“, althochdeutsch “zebar“ gefasst, die untauglichen beziehungsweise nicht verwendetetn Tiere folglich als „Ungeziefer“ bezeichnet. Ein Bezug zwischen der Art des Opfertiers und der Gottheit für welche das Opfer bestimmt ist wird angenommen. Für den angelsächsischen Bereich wären das mutmaßlich: für “Þunōr“ Ziegen(böcke), für “Wōden“ Pferde. Papst Gregor erwähnte in seinem Brief an Augustinius das abhalten von großen Tieropferndurch die Angelsachsen, dies mit rituellen Schlachtungen und in großer Anzahl von Rindern.

*Beim Akt des opferns wurde die Örtlichkeit, der Altar und gegebenenfalls das Idol des Gottes für dem das Opfer abgehalten wurde, mit Blut bespritzt oder bestrichen sowie über die teilnehmenden Personen. Der altenglische Begriff für “segnen, heiligen“ lautet verblasst “blētsian“ zur ursprünglichen Form “blōdisōn“ „mit Blut röten“. Zudem wurde das Blut des Opfertieres als Kulttrunk verzerrt. Die Bedeutung des Begriffs “lāc“ hinsichtlich ausgelassenen Tanzes –des Kulttanzes an sich– zeigt die wechselwirkende Verbindung zwischen dem ernsten religiösen Akt des Opferns und der profanen Welt des sich anschließenden Opfer- und Festmahls, das begleitet wird, oder zuvor zum Opfer, durch kultische Umzüge, sportliche Wettkämpfe die auf Ausdauer und Kraft ausgelegt waren. Die northumbrische Festhalle von Yeavering aus dem 6. – 7. Jahrhundert wurde fälschlich für ein Gebäude mit reiner Tempelfunktion gehalten, wobei Einzelheiten von den vergleichbaren nordgermanischen Kulthallen aus späterer Zeit abweichen. Siedlungsspuren sind nicht zu finden, jedoch abgelegte Knochenreste von Rindern, die als Reste von Kult- und Opfermahlen deutbar sind. Spätere kirchliche Erlasse untersagten dem zumeist in bäuerlichen Strukturen lebenden Angelsachsen den Genuss von Blut und Fleisch der Opfertiere, sowie begleitende Praktiken wie beispielsweise das Aufhängen von Tierhäuten.

Ausgelassenen rituellen Feiern finden sich in der germanischen Welt, und darüber hinaus bei anderen historischen Religionen, besonders bei Vegetationsriten begleitet von einer deutlichen sexuellen Konnotation (Nerthuskult bei Tacitus, Freyrkult zu Upsalla (Adam von Bremen). Die Verehrung von Muttergottheiten (Terra Mater) ist altererbt und findet sich in der germanischen Welt des 1. Jahrhunderts in den niederrheinischen Matronenkulten wieder. Beda berichtet von den kultischen Umzügen zur Verehrung einer “mōdra“ die in der “mōdra nect“, das fruchtbarkeitsrituelle Moment scheint hier aber schon erweitert worden mit dem Bezug auf den Toten- und Seelenkult. In diesem Rahmen frühjährlicher Vegetationsriten wird auch die von Beda beschriebenen “Ēostra“ in Bezug stehend gesehen –in Analogie zu den Matronen- und Disenkulten beziehungsweise der altsächsischen “Idisi“.

Fruchbarkeitsriten einschließlich der Abhaltung von damit verbundenen Opferfesten lassen sich zeitlich festlegen für den ausgehenden Winter und Frühlingsanfang heutige Brauchtümer wie Maifeiern und Maibäume sind Nachläufer des einstigen nicht nur angelsächsischen paganen Ritus. Mitte September wurde im “Hāligmōnað“ ein Herbstopfer gefeiert, sowie zur Wintersonnenwende das Julopfer.

 

Idolatrie

“Tacitus“ berichtet über die Stämme an der Nordseeküste, aus denen die Angelsachsen entstammten, im Kapitel 40 von dem oben erwähnten Kult um die Fruchtbarkeitsgöttin “Nerthus“. Nach der kultischen Umfahrt auf einem Wagen wird das “Numen“ in einem versteckten See gewaschen. “Numen“ bedeutet hier ein Idol oder Kultbild. Den gemeingermanischen Brauch der Verwendung von Idolen in der Kultpraxis haben die Ausgewanderten vermutlich mitgenommen. Kirchliche Anweisungen aus der Zeit der Mission der Angelsachsen betonten, dass die heidnischen Kultorte progressiv im christlichen Sinne weitergenutzt werden sollten, lediglich die Götterbilder/Figuren sollten zerstört werden: “sed ipsa quae in eis sunt idola destrunatur“. Die Missionare gingen von etwas Realem aus, dass ihrer konkreten Tätigkeit herausfordernd alltäglich begegnete. Altenglische Begrifflichkeiten für ein Idol hängen eng mit den Begriffen für die Kultorte zusammen, beziehungsweise sind wie oben abgehandelt zum Teil ident, sowohl im Einzelfall wie im Vergleich mit Begrifflichkeiten anderer germanischer Völker. Hierbei tendiert die Spannbreite der Objekte zwischen anthropomorphen, also künstlerisch mehr oder weniger bearbeiteten in der Regel aus Holz bestehenden Götzen bis zu schlichten Pfählen. Ein solcher idolartiger schlichter Kultpfahl wird bei der Kulthalle von “Yeavering“ angenommen, welcher große Ausmaße hatte. Für das angelsächsische Siedlungsgebiet keine archäologische Nachweise durch Funde von Idolen wie vergleichbar in Deutschland und in Dänemark, bis auf die sächlichen und sprachlichen Indizien.

Der Brakteat von Holt in Norfolk mit der vermuteten figürlichen Darstellung des Gottes Tīw gehört wie andere arttypische Abbildungen nicht zur unmittelbaren Sphäre der Idolatrie, da ein Zeugnis einer religiösen Bindung durch einen persönlichen Glauben schwerlich festzustellen ist. Analog zu Funden in angelsächsischen Grablegen (Eastry in Kent), ist eher mit der Zauberwirkung eines Amulettes in Verbindung zu bringen, und gehört weitestgehend in den Bereich des Zaubers und der Magie.

 

Zauber und Magie

“Ernst Alfred Philippson“ führt dahingehend weiter aus, dass diese Gunstbarmachung, in Bewegung setzen durch bestimmte Praktiken wie der Beschwörung der Gottheiten durch Tiere, Pflanzen und der leblosen Natur als Medium, den magischen Kontakt herstellen. Der grundsätzliche archaische germanische Glaube an eine beseelte Natur, die besonders an Kultorten manifest und erfahrbar wurde, führte zum einem zur Personifizierung der Naturkräfte in einzelnen Gottheiten, und in die Personifizierung der Geister und den sich daraus ergebenen Dämonenglaube. Der Dämonenglaube gehört unmittelbar in die Spähre des Zaubers und der Magie. Personifizierungen, beispielsweise durch Figuren der niederen Mythologie, wie Elfen/Alben, Kobolde, Wassergeister, wurden zur Schadenabwehr, oder zur Verfluchung durch Zauber beschworen. Im übrigen stellten die Praktiken der frühkirchlichen Missionare und Priester für die Neubekehrten kein wesentlichen Kulturbruch dar, denn die Beschwörungen, beziehungsweise Austreibungen von Dämonen durch diese waren ebenfalls, wie die pagane Tradition, an den Glauben und die Wirkkraft des Zaubers gebunden. Die Kirche unterschied lediglich zwischen “Weißer Magie“ im guten kirchlichen Brauch, und der “Schwarzen Magie“ für alles heidnische. Letztere wurde verboten und als Sakrileg indiziert.

Ein besonders germanisches Charakteristikum ist die hauptsächlich weibliche Rolle in der Ausübung von Zauberpraktiken. Dies wurde schon von Tacitus (Germania, Kap. 8) durch die Praktiken der Mantik, der Wahrsagerei, belegt. Des Weiteren geht aus den mittelalterlichen kirchlichen Buß,- und anderen Verordnungen bis zum frühneuzeitlichen englischen Hexenwahn die bedeutende weibliche Rolle im Zauber hervor. Der altenglische Begriff “hellerūne“ tituliert Frauen ( “rūne“ auch im Sinn von “Hexe“) die Zauber ausüben der mit Toten in Zusammenhang steht, als Form einer vermutlichen Totenbannung durch Anwendung eines Runenzeichens, oder der Totenbeschwörung.

Der Zauber wird unter anderen als “heagorūn“ benannt, im übertragenen Sinn eines unbestimmten „großen Geheimnis“. Auffallend ist das ein gemeingermanisches Wort für “Zauber“ nicht besteht, jedoch eine Anzahl die in den Sprachen verwandt anlauten aber abweichende Bedeutungen haben. Beispielsweise bedeutet das aus dem mittellateinischen “cauclearius“ (neuhochdeutsch Gaukler) entlehnte, im altsächsischen “kōklāri“ ebenfalls “Zauberer“, das altenglische “gēogelere“ „durch einen Zauberspruch verhexen“. Durch den Begriff “side, sidsa“ bezaubern, verhexen, besteht ein vermuteter Bezug zum altnordischen “seiðr“. Benannt wird hingegen die unterschiedlichen Wirkweisen des Zaubers und die damit verbundene Praxis.

Die Zauberhandlung erfolgt, unterstützend und verstärkend, durch diverse Zaubermittel oder durch die rituelle Aufsagung zauberisch wirkender Worte, alternative und zweckgebundene Zaubersprüche. Die Wirkkräftigkeit des Zaubers ist in der Kombination der Komponenten am größten. Die einfachste und vermutlich ursprünglichste Art eines Zaubermittels ist die Kraftübertragung an und durch die Bedeutung der besonderen kultisch-sakralen Orte wie Quellen, Steine und Bäume.

 

*Zaubermittel

Als Zaubermittel dienten Amulette unterschiedlichster Ausformungen wie unter anderem aus Grabbeigaben festgestellt (Bernsteine, Brakteaten und vielleicht totemistisch zu deutende Nachbildungen von Vogel- und anderen Tierklauen), sowie die Verwendung von Kräutern. Kirchliche Verbotschriften und Berichte wiesen energisch auf die Unterlassung dieser Mittel zum Zweck des verbotenen heidnischen Zaubers hin; die Amulettverwendung und die Zaubergesänge,- Sprüche. Runen einzeln geritzt, beziehungsweise geschrieben, hatten eine magische Komponente (Runenzauber) durch deren namentliche Bedeutung in welchen Zusammenhängen als ein Zaubermittel, bleibt im angelsächsischen Kontext unklar. Im mythologischen Kontext jedoch nicht, denn wie in der nordischen Mythe gilt Wōden als Stifter der Runen. “Carmina“ im Verständnis einer Zauberformel kann der Rauner “rūna“ nicht nur geraunt “rūnian“ haben, sondern naheliegend, auch als Zeichen mit Schutz- und heilbringender Zauberwirkung (Apotropäisch), oder im Sinne schadenzauberischer Wirkungen verwendet haben. Mittelalterliche Reflexe auf diese heidnischen Traditionen zeigt beispielsweise der Brauch, Kreuzzeichen zu schlagen zum Schutz vor den Mächten des Bösen. Des Weiteren geht nachklingend aus Runengedichten wie dem Abecedarium Nordmannicum diese Bezüge hervor. Das erhaltene altenglische Runengedicht unterliegt jedoch der mittelalterlich gelehrten Perspektive und ist in diesem Kontext der angelsächsischen Magie nicht aussagekräftig . Beda berichtet von einem Zauber durch Fessellösung wobei unklar ist, ob dieser Zauber durch das Mittel eines Runenzeichens erwirkt wurde. Zumindest übersetzt die altenglische Fassung Bedas lateinisches “literas solutarias“ „lösende Zeichen“ mit “alysendlecan rūne“, also im möglichen Sinn eines lösenden Abwehrzaubers.

 

*Zauberworte und Zaubersprüche

Zauberworte und Zaubersprüche sind unabdingbar und sind besonders gut bei den Angelsachsen belegt, durch die erhaltenen zahlreichen Zaubersprüche und dem expliziten Wortschatz. Analog zu den frühdeutschen Zaubersprüchen lässt sich die „genuin germanische Form“ durch den verwendeten Stabreim, die Langzeile, und den mythologischen Apparat erkennen. Das altenglische Präfix “gāl“ bedeutet unter anderen Ausgelassenheit, sexuelle Lust; “gālan“ besingen, zaubern; “gealdor“ Zauberlied oder Zauberspruch und “gealdorcræftiga“ den Zauberer. Die Reihung zeigt deutlich, dass der pagane Zauber und Magie nicht zu separieren ist vom übrigen religiösen Kult und Ritus, wie parallel durch die ebenfalls ekstatischen Elemente der Opferhandlungen. Der Großteil der erhaltenen altenglischen Zaubersprüche sind unter anderem in „Bald’s Leechbook“ gelistet, und daher in der Humanmedizin verortet, wie zum Beispiel der sogenannte Neunkräutersegen. Beim Spruch “wið cyrnel“ bekommt die im Germanischen magische Zahl „Neun“ gleichfalls bedeutend zum Tragen, in Form des ebenfalls zauberisch wirkenden Abzählreims. Durch den Spruch sollen die “noðþaes sweoster“ „wagemutige Schwestern“, im Sinn von Dämonen, Geister, durch das Abzählen vertrieben werden.

Weitere Sprüche in einer milderen Form sind Liebeszauber oder solche, in denen fruchtbarkeitsrituelle Aspekte einfließen, wie im sogenannten Acker,- oder “Flursegen“ (Charm for Unfruitful Land, Leechbook). Dieser Spruch ist ein Gemisch paganer und christlicher Elemente. Nach der Anweisung, an verschiedenen Stellen des Ackers Honig, Milch, Hefe und Baumwurzeln zu vergraben, soll der Sprecher als Bezauberer, ein Bauer, sich nach Osten wenden und unter anderem verlauten:

:“eorðan ic bidde and upheofon!“ Die Erde bitte ich und den Ob(er)himmel!

Hier zeigt sich deutlich die gemeingermanische Vorstellung hinsichtlich der Kosmogonie, der Weltschöpfung.

Ist die erste Anrufung der „Mutter“ im Kontext der Matronen Verehrung zu sehen, zu der die “Eostre(n)“ vermutlich konzeptionell wie die der “Mōdranith“ zuzuordnen sind. So „entschärft“ die zweite Anfrufung durch die christliche Anwendung oder Anwendbarkeit auf Maria den paganen Duktus.

Der sogenannte Spruch gegen „Hexenstich“, “wið færstice“, ist nach “Andreas Heusler“ „der“ altenglische Spruch, der besonders durch seine bestehenden Parallelen zu den altdeutschen Merseburger Zaubersprüchen, pagenen religiös-magischen Ritus veranschaulicht.

Im Vers 4 (fett, kursiv) erscheint die Hauptformel des Spruchs, zu deutsch „Heraus kleiner Speer“, der dreimal im Text kehrreimförmig wiederholt wird. Im Vers 6 erscheint wie im ersten Merseburger Spruch eine weibliche Personegruppe „Mächtige Weiber“, die aufgrund ihres zauberkräftigen Wirkens (V.7 das Schleudern der Gere) im Vers 17 als Hexen („Hexen Werk“) bezeichnet werden.

Nach wiederholter apellativ beschwörender Hauptformel folgt von Vers 11 bis 15 die „Fertigung des Heilgeräts“. Ein Schmied saß und schmiedet ein „kleines eisernes Messer tödlich wirkend“. Nach erneuter Hauptformel, die Wirkkraft des Zaubers steigernd, wird das Mittel verstärkt: Sechs Schmiede saßen, und deren Werk sind „Kampfspeere die wirkten“ (Vers 14). „“

Von Vers 18 bis 23 folgt eine formelartige Zählung, auf welche Bereiche der Zauber sich schützend, heilend auswirkt, und gegen wen der Zauber in Kraft gesetzt wirkt.

Die “Carmina“ werden durch die dynamische Versgestaltung wirksam unterstützt. Für den in paganer Tradition stehenden Angelsachsen wird das Erleben der Zauberhandlung, mit dem Hören der Zaubersprüche, des Gesangs, der sinnliche Zusammenhang geschlossen. Er wird situiert in der Welt die ihn umgibt, und täglich real mit den Gesetzmäßigkeiten der Gegenpole von Leben und Tod konfrontiert. Nicht ohne Grund wirkt die Sphäre des Zaubers in die des Totenkultes und der Bestatungsriten ein.

 

Christianisierung

Wohl ab dem 6. Jahrhundert begann die Christianisierung der angelsächsischen Völker. Es waren zuerst die Adeligen, die sich dem neuen Glauben zuwandten. Beda berichtet, welche Gründe sie bewegten: Im Rat von König Edwin vergleicht einer seiner Gefolgsleute das Leben, wie sie es bisher kannten, mit dem Flug eines Spatzes, der aus einem eiskalten Sturm in eine warme, erhellte Met-Halle fliegt – und wieder hinaus in den Sturm.

Dennoch war der Glaubenswechsel kein unbedingter Religionswechsel. An der Person Edwins wird deutlich das der Prozess sich mehrere Jahre hinzog und letztlich auch und vor allem aus staatspolitischer Räson zum Abschluss kam.

Bis zum 9. Jahrhundert hatte das Christentum den ursprünglichen Glauben der Angelsachsen verdrängt; dieser lebte nur im Volksglauben weiter.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert